Debüt des Kairos Quartetts beim Osterfestival Tirol 2014
Gepostet von Markus Stegmayr am Apr 17, 2014 in Music and the city | 3 Kommentare
Das „Kairos Quartett“ gastierte gestern im Rahmen des Osterfestivals Tirol und interpretiere Schubert und Schnebel in grandioser Weise – und wagte sich mit der Musik von Georg Friedrich Haas fast eine ganze Stunde in die absolute Dunkelheit.
Kairos: Dieses griechische Wort bezeichnet den günstigen Zeitpunkt. Das abendländische Denken, das es in dieser Homogenität selbstverständlich gar nicht gibt, tendiert dazu Pläne zu entwerfen und den eigenen Willen in Situationen durchsetzen zu wollen. Situationen werden willentlich beeinflusst, es wird auf einen günstigen Augenblick gewartet, in der das eigene „Ich“ und essen Willensstärke endlich zum Zug kommt. Kairos: Das ist die unerwartete Öffnung in einer Zeitabfolge, mit der man nicht gerechnet hatte und dessen Chance impulsiv ergriffen wird. Die Zeit ist reif, gereift zu den eigenen Gunsten. Jetzt kann man zuschlagen. Durchaus auch im martialischen Sinne. Eine Aufforderung zum Handeln, jetzt oder nie. Nie haben es der eigene Plan und das eigene Konzept sonst leichter, sich durchzusetzen als im richtigen Augenblick.
Francois Jullien findet in frühen chinesischen Texten einen etwas anderen Weg: Das „Nicht-Handeln“. Laozi liest er auf interessante Weise: „Nichts tun, aber nichts wird nicht getan.“ Wer nichts tut und klug und auch strategisch abwartet, der wird mehr reagieren wie agieren, der wird abwarten. Vielleicht abwarten bis sich die Dinge „Von-Selbst“ erledigen. Der wird darum wissen, dass man mit minimalem Einfluss alles vorbereiten kann, damit die Situation „Von-Selbst“ dorthin neigt, wo ich siegreich sein kann. Einen einzelnen richtigen Augenblick gibt es hier nicht mehr. Vielmehr existiert eine Vielzahl an wichtigen Punkten, ein Ablauf, ein Prozess, die Welt und die Situationen sind „Im-Werden“. Das „Ich“ als möglicher Handlungsträger, das mit dem „Kairos“ umgeht, geht im Werden des Seins auf.
Das „Kairos Quartett“: Der Weg von Schubert zu Schnebel bis hin zu Haas…
Überträgt man diese Annahmen auf den gestrigen Abend des Kairos Quartett ergeben sich einige Interpretationsansätze, Konstruktionen und Brücken. Das „Kairos Quartett“, das im Bereich der zeitgenössischen Musik zu der absoluten Weltklasse zählt, spielte sich zuerst durch Schubert und Schnebel. Beides spektakulär interpretiert und in der Montage von Schnebel, der auf Schubert folgt auch sehr kühn in einen Zeitablauf und in eine Abfolge gebracht. Das Konzert kann als Weg betrachtet werden, als eine Konstruktion, der dem Willen der Interpreten folgt. Das „Kairos Quartett“ ist grandios darin Wege zu finden und zu konstruieren. Brücke zu schlagen zwischen Komponisten, Stilen und Epochen. Schubert und Schnebel waren gestern kein Widerspruch, sondern komplementär.
Auf Schubert und Schnebel folgte Georg Friedrich Haas und sein Stück in absoluter Finsternis. Die Nacht spielt prinzipiell eine große Rolle im Werk von Haas, hier wird die Nacht ernst genommen. Die MusikerInnen spielen das Stück auswendig in absoluter Dunkelheit.
Kairos rückt hier in den Hintergrund. Pläne werden über Bord geworfen, zumindest von den Zuhörer_Innen, die von allen Seiten mit der Musik von Haas bespielt werden. Langsam, die Zeit wird unwichtiger, stellen sich, neben dem Verlust des Zeitgefühls in der absoluten Dunkelheit, auch andere Effekte ein. Der Raum wird gefühlt und gehört kleiner. Die Abstände zwischen den MusikerInnen schwinden. Konnte man zuvor noch ganz klar lokalisieren, welcher Klang, welcher Ton, welches Tonfolge von welcher Seite kam, so hört man bald auf, dies als relevant zu empfinden. Der Raum wird zum Klangkörper, die Distanzen schwinden. Der Raum, die Situation, die Zuhörerinnen sind Teil der Dunkelheit und in dieser aufgehoben und zugleich unwichtig geworden. Der Klang ist. Die Musik ist.
Kairos: In der Dunkelheit löst sich die Suche nach dem richtigen Augenblick auf. Es ist ein „In-Fluss-Kommen“ der Zeit und des Zuhörens. Die eigenen Konstruktionen und Interpretationsversuche verschwinden. Die Musikerinnen sind auf die Situation und auf den Verlauf zurückgeworfen, auf das „Werden“, weniger auf das Sein. Bei der Suche nach dem richtigen Augenblick tappt jeder in absoluter Dunkelheit. Ich als Zuhörer habe aufgehört zu „handeln“, aktiv und analytisch zuzuhören. Und bin in der Abfolge von Augenblicke aufgegangen. Ein meditativer Zustand. Nicht-Handeln als Nicht-Hören. Nicht analytisch hören und alles ist gehört.