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Press reviews

Michael Kunkel, Dissonanz #91, Sept 2005



Die Geschichte vom Kühlschrank beweist es: Der Zugang zum Mikrotonalen, Spektralen setzt keinerlei (natur)doktrinäre Prägung oder Lizenz seitens anerkannter Autoritäten voraus. Es muss nicht immer Wyschnegradsky, Grisey & Co sein. Das gewöhnlicherweise für Wohltemperierung zuständige Küchengerät mischte sich ein in den Kompositionsprozess des zweiten Streichquartetts (1998) von Georg Friedrich Haas, der in seiner Musik bekanntlich stark dazu neigt, die im westlichen Musikleben noch immer weit verbreitete Äquidistanziertheit in Frage zu stellen. Elektrische Apparate, zumal leicht schadhafte, erzeugen gern faszinierende Obertonspektren […]. Auf der Spektralanalyse eines Alltagsgeräuschs also beruht der Anfang von Haas’ zweitem Streichquartett – später wird die luzide Oberton- Aura ein bisschen gestört: Es erscheinen Reibeklänge und andere Lautkomplexe, die sich, wenn überhaupt, nur als Ableitungen sehr hohen Grades auf das Grundphänomen beziehen ließen. So ist es aber wohl nicht gemeint. Die verblüffend konventionelle Form ereignet sich in der übersichtlichen Abfolge von Klangaggregaten oder -prozessen meist angenehmen, unaufdringlichen Charakters […]. Entspricht dies eher einer “Außenansicht”, dringt Haas in seinem ersten Streichquartett (1997) weit vor ins “Innere” des Klangs: Diese Komposition ist tatsächlich eine Art Klang-Laboratorium mit einem Instrument aus 16 (skordierten) Saiten, mittels dem kontinuierliche Klangwandlungen induziert werden  wobei, anders als im zweiten Quartett, nicht der niedere “konsonantere” Teil des Spektrums, sondern die komplizierteren Schwingungsverhältnisse den Ausgangspunkt bilden. Die im Beiheft ins Spiel gebrachten Eigenschaften “Beharrlichkeit” und “Langmut” sind gewiss Schlüsselbegriffe der durch das Kairos Quartett intensiv erfahrbar gemachten Zeitlichkeit des Werks, dessen Höhepunkt von der Schichtung komplexer harmonischer Felder bestimmt ist. Es ist dem dramaturgischen Geschick von Haas und nicht zuletzt der interpretatorischen Leistung zuzuschreiben, dass dieses Werk stärker berührt als viele andere akustische Versuchsanordnungen.
Michael Kunkel, Dissonanz #91, Sept 2005