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Press reviews

Neue Streichquartette mit dem Kairos Quartett in der Villa Elisabeth (Berlin)



Viele Wege führen zum Streichquartett. Die alte Gattung zeigt sich immer wieder aufnahme- und wandlungsfähig, sei es innerhalb ihrer Grenzen, sei es in bewusstem Schritt über sie hinaus. Und so begeisterungsfähige und penible Interpreten wie die Musiker des Kairos Quartetts überzeugen Komponisten wie Zuhörer leichthin von der Lebendigkeit ihrer Sache.
Drei Uraufführungen und ein interessanter Fund brachte jetzt das Konzert in der Villa Elisabeth. Die Komponisten, zwei Deutsche, zwei Franzosen, gehören zur Generation der Fünfzigjährigen. Knut Müller, der als Künstler und Komponist in Leipzig lebt, ist ein Außenseiter im Betrieb der neuen Musik, und sein 3. Streichquartett bringt gleich zu Anfang frische Luft ins Konzert. Die in wuchtiger Rhythmik satt röhrenden Quintklänge der leeren Saiten signalisieren Ferne von der Last der Tradition ebenso wie die naiv in Szene gesetzte Lust am Ertasten des Klangmaterials der Instrumente. Die Energie dieses ersten Satzes trägt über ihn hinaus bis in die absterbend Klanggestalten des zweiten Satzes mit Trauerstimmung.
Ragnarök, Götterdämmerung, nennt Müller sein Stück im Untertitel, und er möchte es als eine Art Ehrenrettung für die heute zumeist zwischen Heavy Metal und politischem Stumpfsinn rezipierte nordische Mythologie verstanden wissen. Philippe Schoeller arbeitet in “Tree to Soul” auf auratischere und raffiniertere Weise mit den Möglichkeiten der vier Instrumente, ist da ganz auf der Höhe der Zeit. Aber auch hier gibt sich eine außenseiterische Verschrobenheit zu erkennen. Schon in den klassischen, auch mit ausschweifenden italienischen Bezeichnungen charakterisierten Satztypen, vor allem aber in dem doppelten Gang durch beide Sätze.
Der Sinn dieses wahren Tabubruchs erschließt sich kaum, erhöht allerdings den Effekt des überraschend angehängten Schlusses. “All’ aperto. 18 Scherben für ein Streichquartett” nannte Christoph Staude 1992 seine Sammlung von Fragmenten, deren Reiz einerseits darin besteht, dass sie sich in unvorhersehbarer Weise mal zu größeren Einheiten zusammenschließen, mal sekundenkurze oder minutenlange Einzelsätze bilden. Andererseits bildet die Vielschichtigkeit der Tonsprache hier auch einen Reichtum an Welterfahrung ab, zusammengehalten von kaum spürbarer Zauberhand. Viel strenger entwickelt sich “Entlöse” von Jean-Luc Hervé, eine Rezitation für Solovioline und Streichtrio, zu der ein Klavier sparsame Kommentare setzt. Spannend ist diese Musik in den unendlichen Variationen zwischen kleinen, sprechenden rhythmischen Zellen und fließendem Klang, schön in der Ökonomie ihrer Mittel.
Martin Wilkening, 22.2.2010, Berliner Zeitung